Mit einem Klick zum Baby
Viel zu früh drängt es sie, meist nicht einmal 2.500 Gramm schwer, hinaus ins Leben: Immer mehr Frühchen werden in Deutschland geboren. Ein innovatives virtuelles Überwachungssystem erlaubt es heute Eltern, ihr Baby via Livestream jederzeit in der Klinik zu „besuchen".
Urvertrauen in die Welt saugt man als Baby mit der Muttermilch auf. Aus medizinischer und psychologischer Sicht, ist besonders die erste Zeit nach der Geburt entscheidend für eine stabile Eltern-Kind-Bindung. Bonding – so nennt man diesen Prozess. Die dabei über intensiven Blick- und Hautkontakt aufgebaute emotionale Nähe gibt den Eltern Selbstvertrauen und nimmt ihnen Ängste im Umgang mit dem zerbrechlichen Nachwuchs; sie ist andererseits Voraussetzung, dass sich das Kind seelisch und gesundheitlich gut entwickeln kann. So wichtig das Bonding ist, so schwierig gestaltet es sich für immer mehr Eltern, deren Säuglinge zu früh – also vor der 37. Schwangerschaftswoche – zur Welt kommen und über Wochen oder Monate von ihnen getrennt auf der Intensivstation liegen müssen. Denn in Deutschland werden immer mehr Frühchen geboren – derzeit fast zehn Prozent aller Neugeborenen.
„Natürlich muntern wir die Eltern dazu auf, so häufig wie möglich ihre Kleinsten in dieser Extremsituation zu besuchen, jedoch ist es vor allem berufstätigen Vätern nur schwer möglich, dem immer nachzukommen“, erklärt Christian Hess, ärztlicher Leiter des Asklepios-Future-Hospital-Programms (AFH). „Wir wollten daher ein innovatives Angebot schaffen, das es den Eltern gestattet, näher bei dem Frühgeborenen zu sein.“ Die Asklepios-Klinik in Hamburg installierte als eine der ersten Kliniken bundesweit ein virtuelles Besuchersystem für Eltern und Angehörige, das die mbw-babywatch GmbH aus Siegen entwickelt hat. Neben Hamburg ist derzeit die Technologie nur in Witten und Berlin zugänglich.
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Zugang haben sie rund um die Uhr und weltweit. „Die Online-Kamera hat eine sehr hohe Lichtauflösung, sodass man auch im Dunkeln eine gute Bildqualität hat“, sagt mbw-babywatch-Geschäftsführer Andreas Kray. Die Technik stamme ursprünglich aus dem Sicherheits- und Brandschutzsektor. Das System sei bereits in den USA erfolgreich erprobt worden und habe dort dazu geführt, dass die Frühchen rund zwei Wochen eher aus der intensivmedizinischen Betreuung nach Hause geholt werden konnten. Andreas Kray ist sich sicher, dass diese moderne Kommunikationstechnologie bald auch Einzug in die Klinikstandards in allen Bundesländern halten wird. „Im Laufe des Jahres soll der Markt erheblich erweitert werden.“ Gespräche und Schulungen mit den betreffenden medizinischen Ansprechpartnern seien bereits erfolgreich angelaufen. „Auf Anfrage des Krankenhauses installieren wir das System und die Klinik klickt auf den Server. Interessierte Eltern erhalten dann ein Passwort, das von der Klinik schließlich freigegeben wird – und loggen sich einfach in ihren geschützten Bereich im Netz ein. Durch Anonymisierung ist der Datenschutz garantiert.“ Für die kostenlose Anwendung brauche man keine speziellen Vorkenntnisse, lediglich einen Internetzugang und einen Computer oder ein Smartphone, betont Andreas Kray.
Mit Live-Bildern vom Frühchen fühlen sich Mütter und Väter sicherer. Erste positive Rückmeldungen vonseiten der Eltern und des Klinikpersonals erwecken Optimismus. Unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten wird die mbw-babywatch-Technologie derzeit an der Klinik für Neonatologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin getestet. Als einzige Krankenkasse unterstützt die Barmer GEK das Forschungsprojekt, das nach Abschluss der technischen Installation nun uneingeschränkt angelaufen ist. „Eine möglichst optimale Versorgung von Schwangeren, Neugeborenen und Familien liegt uns besonders am Herzen. Wir hoffen, dass moderne Kommunikationsmittel wie das virtuelle Besuchssystem dazu beitragen, Eltern und Kind noch intensiver zu unterstützen. Durch mehr Nähe zum Neugeborenen sollen Ängste abgebaut und die Eltern-Kind-Bindung gestärkt werden“, so Silke Oelkers, Leiterin Produktentwicklung der Barmer GEK. Natürlich solle der Livestream nicht die tatsächlichen Besuche durch die Eltern einschränken, sondern diene als eine sinnvolle Ergänzung, betont Silke Oelkers. Die Akzeptanz bei den Eltern ist hoch; drei Viertel von ihnen nutzen bereits das Kamerasystem in der Klinik für Neonatologie der Charité. Interessant wird vor allem sein, ob und wie das System die Elternkompetenz so weit festigen kann, dass die Säuglinge früher aus der Intensivstation entlassen werden können. Erste Ergebnisse des Forschungsprojekts, die sich aus der wissenschaftlichen Auswertung der Nutzungsdaten und der Befragung des Klinikpersonals und der Eltern ergeben, sind im Spätsommer oder Herbst zu erwarten. Da der Aspekt einer langfristigen Untersuchung der Eltern-Kind-Bindung einen Teil des Forschungsansatzes darstellt, geht Andreas Kray von Anschlussprojekten für eine Langzeitbeobachtung aus.
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Quelle: magazin-forum.de
